2. Advent – Das Ende

2. Advent – „Das Ende“ – Ich werde sie nie vergessen, die Predigt meines Doktorvaters Eilert Herms, die er am 2. Advent 2004 in der Tübinger Stiftskirche hielt.

Als Ex-Evangelikaler, der ich damals schon war, staunte ich sehr: denn der 2. Advent holt uns zurück auf den Boden der Tatsachen. Keine Gemütlichkeit mit Glühwein und Plätzchen. Stattdessen blanke Realität: „Wir müssen alle sterben!“ Oder eben: „Das Ende“, so der Titel seiner Predigt.

„Zeichen geschehen an Sonne, Mond und Sternen; auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres; die Menschen werden vergehen vor Furcht in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte des Himmels werden ins Wanken geraten.“

Aus dem Lukasevangelium, Kapitel 21

Wir erleben seit einem Jahr weltweit die Pandemie. Sie lehrt uns das Fürchten. Und: sie ist noch nicht das Ende! Gott sei Dank! Zwar spüren wir zutiefst und vielleicht deutlicher denn je, dass wir Naturgesetzen unterliegen und (ob wir es wollen oder nicht) eingebettet sind in die großen breiten Linien des Weltgeschehens. Alles hat einen Anfang und ein Ende!

Daran erinnert der 2. Advent. Und wenn ich Lukas so lese, frage ich mich: hat er Corona gekannt? Oder Roland Emmerichs „The day after tomorrow“ vorhergesehen? – „Die Kräfte des Himmels werden ins Wanken geraten.“ Und ich höre Herms immer noch: „Werden sie das etwa nicht? Sind wir etwa durch den Fortschritt der Wissenschaft über diese Einsicht hinausgeführt worden? Ist es etwa nicht sicher, dass unsere Sonne das Schicksal aller Sterne teilen und das um sie herum aufgebaute Kraftfeld kollabieren wird? In der Tat: Die Kräfte des Himmels werden ins Wanken kommen.“ (Eilert Herms, In Wahrheit leben, Leipzig 2006 – 25. Das Ende, S. 395-408)

Es gibt kein Entrinnen. Wenn Du Corona noch nicht hattest: Glück gehabt! Ich wünsche es Dir – dieses Glück. Dem Tod wirst du dennoch nicht entrinnen. Das wurde mir klar, als ich dieses Jahr einen 36-jährigen Familienvater beerdigen musste.

Was aber ist dann das Tröstliche am 2. Advent? Wieso trifft er uns so krass mit seiner Botschaft? Diese Frage beantwortet der Wochenspruch:

„Seht auf und erhebt Eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“

Lukasevangelium, Kapitel 21, Vers 28

Gemeint ist mit dem Vers gerade keine Erlösung vor Corona & Co., Krankheit und Tod. Nein, wir müssen trotzdem alle sterben. Gemeint ist: „Jetzt, wo ihr das Ende zu Recht erwartet, jetzt erwartet es auch richtig!“ (Herms, 404)

Uns darf klar werden: unser Leben unterliegt den Bedingungen von Zeit und Raum, Anfang und Ende – doch das Ende ist kein Untergang. Als Christ*innen glauben wir daran, dass unsere Welt und wir in ihr einen Ursprung (= Gott) hat; dass wir deshalb bestimmt sind zu einem Leben, das von Vergänglichkeit geprägt ist, die wir täglich und überall beobachten können; UND: dass wir nicht dem Untergang geweiht sind, sondern dem Übergang in einen neuen Zustand – der Vollendung bei und in Gott! Das ist ewige Gemeinschaft mit Gott. Das ganze Leben Jesu atmet genau diese Wahrheit.

Und deshalb erinnert mich der 2. Advent seit dem 04.12.2004 jedes Jahr aufs Neue daran: Jesus, der Kommende, „übt die schaffende, erhaltende, versöhnende und vollendende Herrschaft Gottes selbst aus“ (Herms, 406). Und dieser Gedanke hat für mich etwas Erlösendes. Er erlöst mich vom Druck meines Lebens, von aller Angst und Not vor der Vergänglichkeit und des Alterns, von der Ungewissheit, was mich nach dem Tod erwartet. Und das erzeugt in mir eine große Vorfreude auf das Weihnachtsfest – Abbild des Festes, das mich einmal erwartet, wenn meine Tage gezählt sind.
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