„Die Kirche der Zukunft ist ein Restaurant“ – diesen Satz hörte ich 1998 im Rahmen meines Studiums von meinem Mentor im Gemeindepraktikum. Heute im Zeitalter von „missionaler Kirche“ etc. längst nichts Neues mehr und für manchen Leser vermutlich auch schon „altbacken“ war er für mich damals so etwas wie eine Intialzündung. Gerade war Rick Warrens Bestseller „Kirche mit Vision“ herausgekommen, den ich in dieser Phase in kürzester Zeit verschlungen hatte. Nun durfte ich die Bekanntschaft machen mit dem ganz normalen Alltag einer klassischen (Baptisten-)Gemeinde und den sich mir dort öffnenden Herausforderungen, die an einen Pastor gestellt werden. Restaurant? Weit gefehlt – zumindest damals noch. Ich träumte den Traum von Kirche als Raum, in dem Menschen sich begegnen, weit mehr als „nur“ im Gottesdienst – vielmehr finden Begegnungen auf vielen unterschiedlichen Ebenen statt, Gespräche werden geführt, es wird gemeinsam gegessen und getrunken, gemeinsam Freud und Leid geteilt, miteinander Nöte getragen und Triumphe gefeiert usw.
Wie muss Kirche sein?
Im Studium hatte sich mir noch nicht die Gedankenwelt eröffnet, die ich erst zu Beginn des neuen Jahrtausends begann zu durchdringen, im Examen dann ausführlich versuchte zu präsentieren und später in der Doktorarbeit vertieft wurde. Es war die Frage: Wie muss Kirche (im 21. Jahrhundert) sein, damit sie lebensfähig bleibt? Was braucht sie, damit sie Salz und Licht für die Welt ist und bleibt? Was wird benötigt, damit sie ihre Würz- und Lichtkraft nicht verliert? Fragen, mit denen ich mich heute (nach rund zwölf Jahren pastoralen Dienstes) immer noch beschäftige. Ja immer intensiver auch…
Kirche – ein Dienstleistungsunternehmen?
Immer wieder kam ich zurück zu dem Gedanken vom Restaurant. Vermutlich auch durch diesen Satz meines Mentors mit motiviert, wurde in mir mehr und mehr meine Leidenschaft fürs Kochen, das gute Essen und Genießen entfacht. Und ebenfalls die Liebe, an schönen Orten zu sein, seien es nun Restaurants oder andere Etablissements. – Mein erster Besuch der Willowcreek Community Church in Chicago 1999 war so ein Schlüsselmoment: Dort erlebte ich Gastfreundschaft auf eine Weise, wie ich sie in deutschen Kirchen bis dahin nie erlebt hatte. Und das lag nicht allein an der schon damals hervorragend ausgestatteten Infrastruktur gastronomischer Wirklichkeit oder der Tatsache, dass Coca-Cola dort sogar aus der Wand flossen wie bei Mose das Wasser aus dem Fels… Aus meiner Sicht eine eher banale Anfrage wie etwa meine an eine Mitarbeiterin der Gemeinde gerichtete Frage nach dem Ort, an dem die Übersetzungskopfhörer verteilt wurden, führt dazu, dass die freundliche Frau mich durch das halbe Gemeindezentrum begleitete auf dem Weg zum gesuchten Ort und währenddessen (bei Willow sind alle Wege weit – das war schon damals so!) größtes Interesse an meiner Person, meiner Herkunft usw. zeigte. Eine völlig neue Erfahrung für mich. Und doch nur eine Kleinigkeit, aus der für mich ein Schlüsselmoment wurde. Das war Dienstleistungsorientierung high end, wie man heute sagen würde. Und in der Tat vertrete ich bis heute die Meinung, dass Kirche auch (!) ein „Dienstleistungsunternehmen“ ist. Sie ist es, weil sie sich dem Dienst und der Nachfolge Christi verpflichtet sieht und dessen Dienst an der Welt und ihren Menschen fortsetzt.
Gastronomie und Hotellerie als Vorbild
Später hatte ich das große Vorrecht, einen tiefen Einblick in die Welt der gehobenen Gastronomie und Hotellerie zu werfen, der mich ebenso faszinierte. Hier wurden und werden Dienstleistung und Gastfreundschaft in ganz ähnlicher Weise gelebt – auf höchstem Niveau, aber nie abgehoben, sondern immer am Menschen und seinen Bedürfnissen orientiert. Kein Wunder! Sie müssen es ja auch, denn sie leben davon. Und gerade deshalb ein großes Vorbild für mich als Repräsentant einer Kirche, die neben vielem Guten, das sie bewirkt trotzdem leider auch Mitglieder verliert, wo Menschen zum Teil mit einer Mentalität à la „für den Herrn reichts“ umgehen und das Leben seinen gewohnten, behäbigen Gang geht.
Vielfalt und Feiern
Die Kirche, die ich träume, versucht dagegen eher, das Evangelium auf immer neue Weise zu den Menschen zu bringen – so wie der Koch sich immer wieder neue Kreationen und Geschmackskombinationen ausdenkt, um seine Gäste immer wieder aufs Neue mit gutem Essen und Trinken zu ver- oder bezaubern, eben: zu verwöhnen. So eine Kirche macht sich täglich die Mühe, an ihren Menschen dran zu sein, ihre Bedürfnisse zu kennen – und zwar nicht nur ihr Pfarrer und vielleicht noch die Gemeindeleitung, sondern alle! Diese Kirche ist da in Zeiten der Not, kann trauern und auch solche Anlässe mit der entsprechenden Würde in einem Fest zum Ausdruck bringen. Sie kann feiern, dass sich die Balken biegen wie auf einer großen Traumhochzeit. Sie feiert Gottesdienste in unterschiedlichen Formen – ruhig und getragen, besinnlich und nachdenklich, bewegend und inspirierend, mitreißend und lebensverändernd. Diese Kirche ist betende Gemeinde – das Gebet ist für sie eine der wichtigsten Säulen ihres Gemeindelebens. Sie lässt nicht ab vom Gebet (am besten gleich 24/7) und vertraut darauf, dass Gott sich gerne von ihr bitten und noch lieber anbeten und preisen lässt.
Alles geben
Ich will mit dem Träumen einer Kirche, die so facettenreich ist, niemals aufhören. Selbst dann nicht, wenn ich mal wieder ein ernüchterndes Erlebnis hinter mich bringen muss. Denn enttäuschen können ja immer nur einzelne Menschen. Niemals jedoch enttäuscht Gott uns! Diese Wahrheit gilt es hochzuheben. Und wenn Gott Alles für uns gegeben hat – dann haben wir allen Grund, auch für ihn Alles zu geben, was wir können.