Porträt des Dr. Gachet

Predigt anlässlich der Begrüßung der neuen Ev. Kirchengemeinde Guldenbachtal am 12. Januar 2020 (gehalten in der Ev. Kirche Windesheim)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unseren himmlischem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Als Vincent Van Gogh das letzte Porträt seines Lebens malt, ahnt er nicht, dass es 100 Jahre später zum teuersten Bild aller Zeiten werden würde. Seit der historischen Versteigerung ist das Meisterwerk bis heute verschwunden. Doch klar ist: Farbauswahl und Pinselstrich sind überaus bedeutsam. Das Bildnis oder „Porträt von Dr. Gachet“ ist nicht nur das Porträt seines Nervenarztes Dr. Gachet. Es ist zugleich ein Selbstporträt, und es bildet den Geisteszustand der modernen Welt ab. Van Gogh: „Es hat den schmerzlichen Ausdruck unserer Zeit.“

Im Städel Museum Frankfurt erinnert an dieses Meisterwerk sein ursprünglicher und nun leerer Bilderrahmen.

Liebe Gemeinde! Wir heben heute eine neue Gemeinde aus der Taufe. Wie bei einer Collage entsteht aus drei eine Kirche und Gemeinde. Vierzehn Dörfer – zehn Kirchen – eine Gemeinde. Ein großes Kunstwerk!

Die Kirche ist ein Kunstwerk. Sie ist ein Porträt. Sie bildet ihren Herrn ab, Jesus Christus. Und sie tut das dadurch, dass aus vielen kleinen Einzelteilen und Pinselstrichen ein Gesamtbild entsteht. Der Apostel Paulus sagt dazu: Sie ist ein Leib, ein Körper, bestehend aus vielen Gliedern. Und das ist Kunst. Kunst sind wir, unsere Körper, die Gott erschaffen hat. Und Schönheit. Kunst und Schönheit ist der Leib Christi, die Kirche.

Und Kunst ist (zumindest meistens, was wir als Kirche tun): Die Musik der Trompeten, Posaunen, der Orgel und unsere eigenen Stimmen. Unsere Freude daran. Jede Symbolhandlung – die Vase mit den Elementen, Kerzen, die wir anzünden, das Abendmahl, das wir feiern. In allem schmecken, fühlen, sehen, hören, riechen und bestaunen wir ein Kunstwerk in seiner Schönheit!

Und da, wo wir als Kirche lebendig und erlebbar sind, entsteht ein Bild, ein Ausdruck dessen, der über uns Hinausgeht – ein Bild von Gott. Bild für etwas/einem, das/der größer ist als wir, uns entzogen, den wir nie ganz begreifen und erfassen können. Und zugleich nähert er sich und wird ein Teil von uns.

Das ist Kirche. Ein Kunstwerk. Ein Ort, der uns mit dem verbindet, was über uns hinaus auf etwas oder einen weist, der Alles in Allem ist. Er nimmt Anteil an unserem Leben, bringt ein Stück Himmel auf Erden.

Er ist ein Künstler. Er trägt ein Bild in seinem Inneren von dem, was er malen, zeichnen, gestalten will. Ein Künstler bringt zum Ausdruck, was in ihm lebendig ist. So entsteht aus weichen und harten Konturen und Pinselstrichen unterschiedlicher Art ein großes Gesamtkunstwerk.

Heute, liebe Gemeinde, feiern wir den Beginn eines neuen Gesamtkunstwerks. Vierzehn Dörfer mit ihren zehn Kirchen werden zu einem Bild vereint, einem Bild Gottes. Gemeinsam verKÖRPERn wir fortan das Leben mit Gott und Gottes Leben mit uns.

Jede und jeder Getaufte wird heute zum Pinselstrich auf dem Gesamtkunstwerk. Würde eines von uns fehlen, wäre das Werk unvollendet und unvollständig.

Als Gott die Welt erschuf, schuf er sie aus reiner Lust am Schaffen und Kreativsein. Zugleich schuf Gott die Welt zu einem ganz bestimmten Zweck: Gemeinschaft zu haben mit uns Menschen. Und das fand er sehr gut, m.it anderen Worten: schön!

Gemeinschaft mit Gott – dazu sind wir berufen. Als Kunstwerke, die den Schöpfer abbilden und preisen. Darin verkörpern wir nicht uns selbst, sondern Gott; wir weisen hin auf diesen ganz anderen. Uns entzogen und doch zugewandt.

Aber: Was kann ich als Einzelner schon im großen Gewirr unserer Zeit schon ausrichten? Denkt da vielleicht eine*r von uns.  – Du kannst und du sollst! Wir brauchen Dich – Gott braucht Dich. Du bist wichtig für Gott und unersetzlich! Du bist ein Pinselstrich Gottes – und wenn es Dich nicht gäbe, würde dem Bild etwas ganz Bedeutendes fehlen!

Van Gogh zeichnete einen Mann, der ihm zu einem ganz wesentlichen Zeitpunkt seines Lebens besonders wichtig war. Wir zeichnen ab heute gemeinsam an einem Bild, das ebenfalls einen abbilden soll, der uns allen wichtig ist für unser Leben.

Und ein Bild trägt immer auch die Handschrift seines Künstlers. Van Goghs „Porträt von Dr. Gachet“ ist gleichzeitig ein Selbstporträt. Es porträtiert nicht nur einen fremden Menschen, sondern auch den Künstler selbst – ja sogar die Gesellschaftssituation.

Die Gemeinde Guldenbachtal wird dasselbe tun! Indem wir aktiv unser Gemeindeleben leben, uns gegenseitig treffen und besuchen, von Gott erzählen, ihn feiern, anbeten, singen, fürbitten und segnen – damit zeigen wir immer auch etwas von uns selbst, und das wird sich herumsprechen.

Freuen wir uns gemeinsam auf die Farben und Pinselstriche, die uns so einzigartig und erkennbar machen. Seien wir ganz authentisch und vertrauen darauf, dass dabei ein schönes Kunstwerk entsteht. Ein Bild dafür, was Gott der Welt durch uns schenken will. Wie er sich der Welt durch uns offenbaren möchte.

Wir haben hier einen Bilderrahmen wie im Städel Museum aufgestellt. Der Museumsbesucher kann durch diesen Rahmen schauen und an der Wand zumindest eine Nachahmung des „Porträts von Dr. Gachet“ erkennen. Und natürlich nutzten viele Besucherinnen den leeren Rahmen für ein Selfie. Ein Selbstbildnis.

(v.r.n.l.:) Pfarrer Joachim Deserno, Vikarin Abigajil Bock, Pfarrer Dr. Holger Werries

Die Frage ist: Welches Bild haben wir von uns selbst. Als wie bedeutsam und wertvoll sehen wir uns selbst an? Was ist es, das dich einzigartig macht? Was lässt dich als diejenige erkennen, die du bist? Was würden deine Verwandten, Freunde und Bekannte über dich sagen, was dich so wichtig für sie macht? Und: Was würde Gott über dich sagen?

Gott spricht Jesus nach seiner Taufe zu:

„Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“

Matthäus 3, 17

Hast Du diese Sicht auf Dich selbst? Haben wir als Gemeinde Guldenbachtal diese Sicht auf uns selbst? Ist uns klar, wie wir in den Augen Gottes gesehen werden?

Nochmals: Wir und die Gemeinde Guldenbachtal, die heute aus der Taufe gehoben wird – wir sind ein Kunstwerk, das aus vielen einzelnen Pinselstrichen entsteht. Die vielen Menschen, die heute hier sind. Jeder für sich ein Kunstwerk. Alle zusammen wie ein Mosaik, ein großes, ganzes und schönes Bild.

Und jedem einzelnen Pinselstrich sagt Gott, der Künstler: Du bist mein lieber Sohn. Du bist meine liebe Tochter. Christel, Jörg, Karin, Thorsten, Abigajil, Joachim, Heike, Kurt – wir alle!

Schauen Sie doch nach dem Gottesdienst durch den Bilderrahmen. Machen Sie gerne ein Selfie.

Je mehr wir diesen Blick Gottes auf uns verinnerlichen – Gottestöchter und -söhne zu sein, die geliebt und angesehen sind, gebraucht und erwünscht, wichtig und bedeutsam; – je länger je mehr wird uns der Schöpfer und Künstler alle einzeln und als Gemeinde Guldenbachtal zu einem Kunstwerk vereinen, das über sich hinaus weist, auf den, wegen dem wir alle hier sind.

Das, liebe Gemeinde, ist unsere Bestimmung!

Also, ihr Kunstwerke, Künstlerinnen und Künstler, zeigt Euch, Eure Schönheit und Anmut. Stellt Euch dar, und weist über Euch hinaus auf den, der uns entzogen und doch so nah ist, der im Himmel und zugleich in unseren Herzen ist.

Porträtiert Euch selbst, damit alle es spüren und erfahren: dass sich unser Leben zum Guten und Schönen entwickelt; und dass Gott durch uns das Leben der Menschen erreicht und beseelt mit seinem Segen und Frieden. Und der ist eben höher als unsere Vernunft. Er bewahrt unsere Herzen – in Christus Jesus, unserem Herrn.

Amen.