Von Abschied und Ungewissheit

(Zeitungsartikel im Öffentlichen Anzeiger vom 22. Mai 2020)

Kürzlich twitterte eine evangelische Bischöfin: »„In diesen Zeiten“ nicht mehr hören können.«

Tatsächlich: Sehr häufig benutze ich diese Phrase etwa in Predigten! Dabei geht es mir ganz ähnlich: Eigentlich kann ich es auch nicht mehr hören. Würde mich am liebsten verabschieden von dieser Phrase und allem anderen, was mit Corona zu tun hat.

In der kommenden Woche darf die erste unserer Töchter endlich wieder zur Schule. Damit enden gefühlte endlose Wochen „Home-Schooling“. – Sie freut sich sehr! Auch eine Form von Abschied: nämlich vom ewigen „Zu-Hause-sein-müssen“ und nur übers Mobiltelefon mit den Freundinnen vernetzt sein.

Geht es Ihnen auch so? Da ist zum einen das sich breit machende Genervtsein über die Einschränkungen bei gleichzeitiger Einsicht über deren Notwendigkeit. Da ist Hoffnung, dass das Leben irgendwann wieder „normal“ wird, die Frage, ob wir in den Urlaub dürfen oder nicht und, wenn ja, wohin – und zugleich die Unsicherheit: Wenn sich wieder Viele infizieren, droht dann im Herbst der nächste Lockdown? Und inmitten all dessen sterben immer noch weltweit viele Menschen (nicht nur, aber auch) an Corona.

Abschied und Ungewissheit sind auch das Thema des kommenden Sonntages „Exaudi“, benannt nach dem ersten Wort der lateinischen Übersetzung des Psalmwortes:

Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe! Sei mir gnädig und erhöre mich!

Psalm 27, 7

Jesu Jüngerinnen und Jüngern ging es kurz vor Pfingsten ja ähnlich. Sie lebten in Ungewissheit und kannten die Katastrophe: Zuerst wird Jesus gekreuzigt – alle Hoffnung verloren – dann erscheint er ihnen als der Auferstandene immer wieder – nun hat er sich vor ihren Augen in den Himmel auffahrend verabschiedet. Seither: wieder warten, hoffen, in eine ungewisse Zukunft blicken: Was kommt als nächstes?

Da hilft das Gebet des Psalmbeters: „Gott, höre uns, wenn wir zu Dir rufen. Sei uns gnädig und erhöre uns – hilf uns!“

„In diesen Zeiten“ voller Ungewissheit und Fragen hilft es, wenn wir Gott anrufen. Und mit Rufen ist eben Rufen und nicht Flüstern gemeint. Wir dürfen Gott laut (!) unser Leid klagen. Ihm alles vor die Füße schmeißen. Ihn um Hilfe bitten, ihm in den Ohren liegen, dass er uns erhört. Wie und ob er das tut, bleibt freilich ihm überlassen.

Mir hilft es, alles mal bei Gott loszuwerden. Und auch wenn wir das im Moment vielleicht anders sehen mögen, so spüre ich bei diesem Gebet dann am Ende doch:

Gott hat die Welt in seiner Hand! Er kann und wird helfen!